die Figur

Der Spielfilm ist frei nach Motiven des ursprünglich beim S.Fischer Verlag erschienen Romans DIE STRECKE von Gerhard Köpf entstanden. Auf der DVD befindet sich im Menü unter Extras ein Audiobook, in dem Rufus Beck auszugsweise die ersten beiden Kapitel aus dem Roman liest.

Neben dieser literarischen Ebene ließ sich Christian Wagner von akribischen Recherchen an der Bahnlinie Kempten-Isny aber auch durch ausgiebige Interviews mit dem Original - Streckengeher Anton Kretzler zur Figur und Geschichte von WALLER inspirieren. Den Beruf des Streckengehers lernten die Darsteller Rolf Illig und Herbert Knaup vor den Dreharbeiten von Anton Kretzler, der genau demonstriert, wie ein Weichenstil gepinselt wird.


Die Weckladen klappten nach unten. Alles ging sehr schnell. Mantel um die Schultern geworfen, Signallampe griffbereit, hundertfach geübt, Habachtstellung, die wachsenden, größer und größer werdenden Augen in der Mündung der Schlucht, der Rauch, beizender Rauch, das Rucken vor der Station, die gebändigte Kraft, das Stoßen der Kolben. Der oberste Chef der Eisenbahngesellschaft verläßt den Salonwagen, Kondukteure umringen ihren ehemaligen Kollegen, der Höchste aller Revisoren sagt laut und deutlich: wir sind dich holen gekommen. Der Mann mit dem Holzbein springt federnd wie einst auf das Trittbrett eines Waggons, winkt mit der Signallampe in Richtung der Lokomotive und ruft Vorwärts, und mit einem langezogenen Pfiff setzt sich der Zug in Bewegung und rollt davon.
Zitat aus: Gerhard Köpf, DIE STRECKE

Aus für Streckengeher
"So alt wie die Eisenbahn selbst ist der Beruf des Streckengehers; seit Anfang des Jahres gibt es ihn nicht mehr. Gleismeßtriebwagen, Beschleunigungsmesser, Ultraschallschienenprüfzüge und Wagen zur Messung der Schienenoberfläche machen die Männer mit den langen Schraubenschlüsseln, die es im Jahr auf vier- bis fünftausend Kilometer Fußmarsch brachten, überflüssig."


In:"Die Schöne Welt. Das Ideen-Magazin der Deutschen Bundesbahn Juni 1988"

 

ZUR ENTSTEHUNG VON WALLER (aus dem Presseheft)

Christian Wagner

Waller geht durch die Zeit wie die Zeit, durch ihn hindurchgegangen.
Bereits die Vorbereitungsphase zu "Waller" und selbst noch die Dreharbeiten waren ein einziger Kampf gegen das Verschwinden der Drehorte und damit gegen die Zeit: die Bahnlinie wurde endgültig demontiert, Bahnhöfe wurden abgerissen und an einem der letzten Drehtage wurde die neue Autobahn, die die Bahnlinie verdrängte, feierlich eingeweiht - gewissermaßen als krönender Abschluß. Die Aussage des Films hatte uns eingeholt.
Im Sommer 1981 begann ich mit den Recherchen an der Bahnlinie Kempten - Isny, die von der Stilllegung bedroht war. Später bin ich dann den Geschichten und dem Beruf des Streckengehers buchstäblich nachgegangen: kilometerlang die Gleise - Schwelle für Schwelle, Schritt für Schritt - die ganze Strecke abgeschritten, um der Perspektive der Figur nachzuspüren.
Auf einer dieser Spurensuchen traf ich zufällig auf den alten Streckengeher dieser Bahnlinie. In langen Erzählungen ließ ich mir von ihm den Beruf erklären, hörte Geschichten von der Strecke, beging gemeinsam mit ihm das Gleis.
(Im DVD-rom Teil der DVD befindet sich eine Multimedia-Show, dort kann man O-Töne des ehemaligen Streckengehers hören.)

Als ich dann zurückgezogen auf einem alten, entlegenen Bauernhof in Ruhe und Konzentration das Drehbuch zu "Waller" schrieb, wußte ich genau, wo ich drehen würde. Davon ausgehend entwickelte ich die fiktive Lebensgeschichte von Waller; die Stimmung der Geschichte und die Atmosphäre der Bilder war mir klar vor Augen. Vielleicht ist meine Faszination, in Bildern zu denken, auch daraus entstanden, daß ich in meiner Kindheit und Jugend sehr viel Zeit in der freien Landschaft, in den Bergen verbrachte. So sind Landschaftsaufnahmen im Film für mich ein zentrales Ausdrucksmittel, weil sie Stimmungen auslösen und eine Art Spiegel der Seele sind, eine riesige Projektionsfläche für die Vorstellungswelt und Imaginationskraft des Zuschauers: darin zu sehen, was im Grunde genommen in einem selbst verborgen ist. Die ruhigen Sequenzen des Wallerschen Streckengangs ermöglichen in diesem Sinne dem Zuschauer Eigenleben und Frciraum für Gedanken und Gefühle. Oder, um mit Michelangelo Antonioni zu sprechen:


"Einmal in ihr Flußbett eingeschlossen, lauft eine Geschichte Gefahr, darin zu versickern, wenn man nicht zuläßt, daß sich ihre Zeit nach außen hin verlängert, dorthin, wo wir, die Protagonisten aller Geschichten, leben. Wo nichts abgeschlossen ist."

 

 

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